Medizinische Notfälle erfordern ein rasches und koordiniertes Vorgehen. In Niederösterreich sorgt ein strukturiertes Notruf- und Rettungssystem dafür, dass Hilfsmaßnahmen schnell eingeleitet und optimal aufeinander abgestimmt werden.
Autor: Stefan Spielbichler
Ein Notfall in der Familie – das Kind fährt mit dem Roller die Hauseinfahrt runter und schon ist es passiert. Es knallt mit voller Wucht gegen das geschlossene Gartentor. Blut rinnt, einige Zähne fehlen, herzzerreißendes Weinen. Ein Elternteil eilt zum Kind, das andere soll den Notruf wählen: 144 – für alle medizinischen Notfälle. Und zwar am besten über die österreichweite Notruf-App „Rettung“, denn beim Drücken auf den Alarmbutton werden automatisch die Position, der Name und die hinterlegten Gesundheitsinfos an die Rettungsleitstelle übermittelt und es wird ein in der Leitstelle priorisierter Sprachanruf zu einer nur für APP-Notrufe reservierten Rufnummer ausgelöst. Damit sind alle nötigen Daten vorhanden und die Notrufabfrage kann verkürzt und die Alarmierung dadurch beschleunigt werden.
Der Notrufexperte und die Erste Hilfe am Telefon
Eine Rissquetschwunde am Kopf, eine riesige Beule auf der Stirn, Abschürfungen und Blut an den Beinen – was ist jetzt die richtige Maßnahme? Das Kind ins Haus tragen oder lieber nicht bewegen? Die Blutung stillen? Hier greift der Notrufexperte von Notruf Niederösterreich ein. Nachdem Adresse und Telefonnummer verifiziert wurden – die Telefonnummer wird beim Anruf automatisch übermittelt – müssen einige lebenswichtige Informationen abgefragt werden: Wie alt ist das Kind, atmet es, ist es bei Bewusstsein, welche Körperteile sind verletzt, blutet es stark, ist die Atmung normal? Diese kurzen, prägnanten Fragen dienen dazu, einerseits die notwendigen Rettungskräfte zu alarmieren und andererseits die passenden Erste-Hilfe-Maßnahmen telefonisch anzuleiten.
Je nach Notfall und Patient wird nicht einfach „die Rettung“ geschickt, sondern je nach Ausbildungsstand des Personals am Rettungswagen entschieden, welches Einsatzmittel am besten geeignet ist. Ist ein Transport in eine Spezialklinik zu erwarten oder der Einsatzort für einen Notarzt – falls notwendig – mit einem Hubschrauber schneller erreichbar, wird der nächstliegende Notarzthubschrauber alarmiert. Welche Einsatzmittel entsandt werden, hängt vom aktuellen Standort ab, den alle Fahrzeuge alle dreißig Sekunden an Notruf Niederösterreich übermitteln. So schlägt das Einsatzleitsystem dem Disponenten in Echtzeit die am schnellsten eintreffenden Mittel vor. In Niederösterreich arbeiten in der Leitstelle stets mindestens zwei Mitarbeiter pro Notfall: ein Notrufexperte, der mit dem Anrufer spricht, und ein Disponent, der die Alarmierung und Einsatzlenkung übernimmt. Mit nur einem Mausklick werden die Rettungskräfte alarmiert, während alle zuvor erfragten Daten live auf die Digitalpager, Tablets und Smartphones der Crews übertragen werden. Parallel dazu gibt der Notrufexperte weiterhin Erste-Hilfe-Hinweise: richtige Lagerung, Wärmeerhalt, Blutstillung, Kontrolle von Atmung und Bewusstsein. Auch praktische Tipps – etwa jemanden nach draußen schicken, um die Rettungskräfte einzuweisen, oder den Hund wegsperren – erleichtern den Einsatz.
First Responder: Hilfe aus der Nachbarschaft
Währenddessen werden alle Informationen vor Ort erfasst und zeitgleich auf den Endgeräten der Einsatzcrews angezeigt. Zusätzlich zum Rettungswagen mit hochqualifizierten Notfallsanitätern und dem Notarzthubschrauber, der das Kind in ein Traumazentrum mit Kinder-Versorgung fliegen wird, werden auch First Responder – sogenannte „Ersthelfer vor Ort“ – alarmiert. Diese können über die lokale Rettungsorganisation oder über die Gemeinde organisiert sein. Gut ausgebildete Ersthelfer oder auch Rettungs- und Notfallsanitäter in der Nähe des Notfallorts erhalten zeitgleich mit dem Rettungsdienst den Alarm. Übernehmen sie den Einsatz, melden sie sich via App zurück. So sehen Leitstelle und Rettungsdienst, welche First Responder unterwegs sind. Derzeit gibt es in ganz Niederösterreich knapp 1.000 First-Responder-Gruppen, die in nahezu allen (Katastral-)Gemeinden verfügbar sind.
Die Rolle der First Responder
First Responder sind speziell geschulte Personen, die bei medizinischen Notfällen in ihrer unmittelbaren Umgebung parallel zum Rettungsdienst alarmiert werden. Sie leisten bis zum Eintreffen professioneller Rettungskräfte lebensrettende Erste Hilfe und verkürzen so das sogenannte „therapiefreie Intervall“. Die Alarmierung erfolgt über die Notrufnummer 144 durch die Leitstelle Notruf Niederösterreich. In Niederösterreich sind viele First Responder direkt in die Strukturen des Rettungsdienstes eingebunden – etwa beim Roten Kreuz oder beim Arbeiter-Samariterbund. Dabei handelt es sich um ausgebildete Rettungs- oder Notfallsanitäter, die in ihrer Freizeit für Einsätze zur Verfügung stehen. Sie sind mit professionellen Notfallrucksäcken ausgestattet und verfügen über fundierte medizinische Kenntnisse. Dadurch können sie bereits vor dem Eintreffen des Rettungswagens lebensrettende Maßnahmen einleiten – ein unschätzbarer Vorteil, insbesondere in Regionen ohne stationierten Rettungswagen.
Gemeinde-First Responder: Stärkung der regionalen Versorgung
Neben den rettungsdienstlich organisierten First Respondern haben auch Gemeinden die Möglichkeit, eigene Ersthelfergruppen aufzubauen. Diese werden unabhängig von Rettungsorganisationen direkt von den Gemeinden betreut. Sie können neben Sanitäterinnen und Sanitätern auch weiteres medizinisches Fachpersonal umfassen – etwa diplomiertes Pflegepersonal, Ärztinnen und Ärzte oder andere medizinisch geschulte Personen. Die Gemeinde-First-Responder werden bei Notfällen in ihrer Umgebung alarmiert und leisten qualifizierte Erste Hilfe, bis der Rettungsdienst eintrifft. Sie sind in der Regel mit grundlegender Notfallausrüstung ausgestattet und kennen die örtlichen Gegebenheiten besonders gut. Durch ihre Nähe zum Einsatzort können sie oft innerhalb weniger Minuten vor Ort sein und so wertvolle Zeit überbrücken. Viele Gemeinden investieren gezielt in Ausbildung und Ausrüstung dieser Gruppen, um die medizinische Erstversorgung nachhaltig zu stärken. Dieses System erhöht nicht nur die Sicherheit der Bevölkerung, sondern stärkt auch das Gemeinschaftsgefühl – denn hier helfen Nachbarn einander in der Not.
Lebensretter-App und Defi-Netzwerk Österreich
Die einfachste und breiteste Möglichkeit zur Unterstützung ist die Nutzung der Lebensretter-App (im jeweiligen Store für Smartphones erhältlich). Nach Nachweis einer aktuellen Reanimationsschulung werden die Nutzer:innen bei lebensbedrohlichen Situationen alarmiert, um sofort eine Herz-Druck-Massage einzuleiten und – falls möglich – einen öffentlich zugänglichen Defibrillator (Defi) zum Einsatzort zu bringen. Wo sich diese Geräte befinden, wird über das Defi-Netzwerk Österreich abgebildet, das Notruf Niederösterreich in Kooperation mit Puls betreibt. Defis sind Lebensretter per Crowdsourcing: In medizinischen Notfällen zählt jede Sekunde – besonders bei plötzlichem Herzstillstand. Automatisierte externe Defibrillatoren (AEDs) können Leben retten, doch oft ist unklar, wo sich der nächste befindet. Hier setzt das Defi-Netzwerk an: eine österreichweite, öffentlich zugängliche Plattform, auf der jede Person, Organisation, Firma oder Einrichtung einen Defibrillator registrieren kann – vorausgesetzt, er ist für die Allgemeinheit zugänglich. Ziel ist ein flächendeckendes,
aktuelles Verzeichnis aller Defis in Österreich. Die Plattform ist unter www.definetzwerk.at erreichbar. Die Registrierung ist freiwillig und unkompliziert. Der jeweilige Eigentümer entscheidet, wo der Defi verfügbar gemacht wird – ob auf öffentlichen Plätzen, in Vereinsgebäuden, Firmenarealen oder anderen Einrichtungen. Besonders wichtig: Die Daten des Defi-Netzwerks sind direkt in die Notrufsysteme aller Bundesländer integriert. Im Notfall greifen die Disponenten bei einem Anruf über 144 darauf zu. Befindet sich ein registrierter Defi in der Nähe, wird der Anrufer gezielt angeleitet, diesen zu holen und einzusetzen. So wird wertvolle Zeit gewonnen, bis professionelle Hilfe eintrifft.
Vom Unfallort ins Traumazentrum
Nachdem die beiden First Responder aus der Nachbarschaft Erste Hilfe geleistet haben, trifft der Rettungswagen ein. Kurz darauf landet der Notarzthubschrauber, dessen Crew von der ebenfalls informierten Polizei mit einem Streifenwagen vom Landeplatz außerhalb der Siedlung zum Einsatzort gebracht wird. Die Notfallsanitäter übernehmen die Übergabe der First Responder, beurteilen die Lage neu und legen unter Anwendung ihrer Notfallkompetenz einen venösen Zugang, verabreichen Flüssigkeit und Schmerzmittel. Der Notarzt erweitert die Therapie, führt Monitoring durch und das Kind wird wirbelsäulenschonend in einer Vakuummatratze auf der Trage gelagert. Nach kurzem Transport im Rettungswagen wird es in den Hubschrauber überstellt und in ein Kindertraumazentrum geflogen – schnell und sicher an die richtige Adresse für die
weitere Maximalversorgung.
Digitale Einsatzdokumentation und Informationsfluss
Während des gesamten Einsatzablaufs laufen alle Bewegungsdaten der Rettungsmittel, die Informationen vom Einsatzort sowie die Rückmeldungen aller beteiligten Kräfte zentral im Einsatzleitsystem von Notruf Niederösterreich zusammen. Auch die Dokumentation der Einsatzcrews erfolgt über eine gemeinsame Plattform. Dadurch stehen allen Beteiligten dieselben Informationen zur Verfügung – bis hin zu den Kliniken, die direkt darauf zugreifen können. So ist sichergestellt, dass in der gesamten Behandlungskette – vom Ersthelfer über First Responder bis hin zu Rettungs- und Notarztteam – keine wichtigen Informationen verloren gehen.