Zwischen Profanierung und Potenzial

Der Umgang mit leerstehenden Kirchen und Pfarrzentren ist für viele Gemeinden zu einer zentralen Zukunftsfrage geworden. Vom Verkauf über die Profanierung bis zu neuen Nutzungskonzepten spannt sich ein komplexer Prozess, der Zusammenarbeit und Verantwortung erfordert. Best-Practice-Beispiele machen sichtbar, wie Kirchenräume behutsam weitergedacht und in lebendige
Orte verwandelt werden können.

Autor: Bernhard Steinböck

In fast jedem Dorf und jeder Kleinstadt steht eine Kirche, oft im Zentrum des Ortskerns, oft auch unter Denkmalschutz. Diese Gebäude sind nicht nur Orte der Besinnung, sondern auch sichtbare Zeichen der Ortsgeschichte, Baukultur und Gemeinschaft. Eine Kirche erzählt meist die Geschichte des Ortes – seiner Architektur, den sozialen Funktionen und auch dem Wandel der Gemeinde über Jahrhunderte. Deshalb sind sie wertvolle kulturelle und historische Ressourcen, die weit über die liturgische Nutzung hinausgehen.

Leerstand in Ortskernen

Wenn eine Kirche leer steht oder nur noch selten genutzt wird, droht nicht nur ein Verlust für die religiöse Gemeinschaft, sondern oft auch ein „Zerbrechen“ des Bewusstseins für ein Stück Heimat und Identität — verbunden mit dem Risiko von Verfall oder Abriss. Mancherorts schrumpfen Bevölkerungszahlen, die Pfarrgemeinden werden kleiner und ja, Gottesdienste werden hie und da auch weniger besucht. Ein Beispiel, das die strukturellen Herausforderungen sehr deutlich zeigt, ist die Filialkirche Hirschwang in der Gemeinde Reichenau an der Rax. Die Erzdiözese Wien bietet aktuell sowohl die Kirche als auch den dazugehörigen Pfarrhof zum Verkauf an: Ein paar Zahlen verdeutlichen die Situation: Auf 380 Katholiken im Pfarrgebiet kommen fünf Kirchen im Umkreis von zehn Kilometern. Zuletzt besuchten nur noch vier bis sechs Personen die sonntäglichen Gottesdienste in Hirschwang, wie Pfarrer Heimo Sitter bestätigt. Gleichzeitig liegen die Sanierungs- und Instandhaltungskosten bei mehr als 150.000 Euro, während ein Gutachten den Gesamtwert von Kirche und Pfarrhof mit rund 240.000 Euro beziffert. Für die Pfarre ist das wirtschaftlich nicht mehr tragbar. Daher habe man – so die Erzdiözese – „im Einvernehmen mit der Pfarre“ entschieden, das Gebäude aufzugeben. Ein Verkauf erfolge laut Diözese Wien nur unter der Voraussetzung, dass die künftige Nutzung mit den Grundsätzen der Katholischen Kirche vereinbar ist. Eine Weitergabe an eine andere christliche Gemeinschaft wäre besonders wünschenswert, heißt es. Sollte dies nicht möglich sein, müsse die Nachnutzung zumindest den „moralischen Vorstellungen“ der Kirche entsprechen. Da das Gebäude nicht unter Denkmalschutz steht, sind Umnutzungen grundsätzlich leichter möglich. Von Seiten der Pfarre wird etwa darauf hingewiesen, dass sich das Kirchenschiff ideal für Kultur, Jugendprojekte oder karitative Zwecke eignen würde. Kirchenraum und Pfarrhof werden ohne Inventar und liturgische Gegenstände verkauft; Interessentinnen und Interessenten müssen ihre geplante Nutzung schon im Angebot offenlegen. Einordnende Worte kommen auch von Bürgermeister Johann Döller (Reichenau an der Rax), der betont, dass „strukturelle Veränderungen ganz einfach gang und gäbe“ seien. Er verweist auf die prägenden Umbrüche der Region: Noch in den 1970er-Jahren gab es durch die damalige Kartonfabrik 300 bis 400 Fabrikswohnungen und ein eigenes Fabriksbad. Mit den folgenden Entlassungen kam es jedoch zu einer deutlichen Abwanderung, was langfristig die gesamte Gemeindestruktur veränderte. „Auch die Kirche muss sich diesen Entwicklungen anpassen“, sagt Döller. Schließlich betreue ein einziger Pfarrer mittlerweile fünf Kirchen. Seit Juni habe es bereits mehrere Gespräche mit möglichen Käuferinnen und Käufern gegeben. Vor diesem Hintergrund wird deutlich: Leerstand im Ortskern ist auch oft ein kultureller und städtebaulicher Verlust – aber zugleich eine Chance, wenn Kirche neu gedacht und sinnvoll weitergenutzt wird.

Umbauordnung und Nachnutzung: Was muss beachtet werden?

Wenn eine Kirche aus dem Nutzungsbetrieb fällt, sind rechtliche und denkmalpflegerische Schritte notwendig: So muss das Gebäude oft „profanisiert“ bzw. entweiht werden — mit Dekret des zuständigen Bischofs, Entfernung sakraler Gegenstände und formaler Änderung des Status. Zudem müssen mögliche Nachnutzungen mit Rücksicht auf Denkmalschutz sowie auf die christlichen Werte (je nach Vorgaben der Kirche bzw. ursprünglichem Eigentümer) geprüft werden. Bei einigen Verkäufen wird ausdrücklich festgehalten, dass die neue Nutzung „nicht den Grundsätzen der Kirche widersprechen“ darf. Einen größeren Kirchenverkauf gab es beispielsweise erst 2023 in Korneuburg: Dort wurde die Augustinerkirche veräußert. Eine Holdinggesellschaft sieht um die Kirche herum einen Neubau vor – mit Platz für unter anderem Gastronomie, Wohnungen und Büros. Im Kirchengebäude selbst sind Ausstellungen zu den Themen Kunst und Kultur geplant. Entweiht wurde im Jahr 2024 auch die Kirche St. Michael in Mödling, dort ist seither immer wieder ein Verkauf im Gespräch. Das macht deutlich: Umbauten müssen sorgfältig geplant sein – mit Rücksicht auf Architektur, Geschichte, bauliche Substanz und mit transparenten Vereinbarungen.

Warum es sich dennoch lohnt – und wie Gemeinden profitieren können

Trotz der Hürden überwiegen oft die Chancen: Eine gelungene Umnutzung bewahrt wertvolles kulturelles Erbe, belebt Ortskerne, schafft neuen sozialen oder kulturellen Raum und kann wichtigen öffentlichen Mehrwert bieten – sei es durch Kunst & Kultur, soziale Treffpunkte, Arbeiten, Wohnen oder Bildung. Gemeinden könnten durch Kooperation mit Kirche, privaten Investoren oder Interessierten, durch klare Rahmenbedingungen und durch Engagement einen Weg finden, Sakralgebäude als Ressource zu sichern – statt sie verfallen oder abreißen zu lassen. Gerade in ländlichen Regionen oder kleineren Städten kann so ein leerstehendes Gotteshaus zu einem neuen Herzstück der Gemeinde werden – mit ganz neuer Funktion und Bedeutung.

Konzepte zur Umnutzung – was möglich ist

Leerstehende oder entweihte Kirchen können mit kreativen und respektvollen Konzepten neue Funktionen bekommen — und so zum Gewinn für Gemeinde, Kultur und Ortsentwicklung werden. Mögliche Nutzungen:

  • Kulturzentren, Veranstaltungsräume, Galerien, museale Nutzung: Kirchen bieten oft große, offene, akustisch und räumlich reizvolle Räume — ideal für Ausstellungen, Konzerte, Theater, Events.
  • Coworking Spaces, Büros, Sozial- und Gemeinschaftsräume: Insbesondere in Gemeinden mit wenig weiteren öffentlichen Räumen kann eine umgenutzte Kirche als Treffpunkt, Büro- oder Gemeinschaftsort dienen.
  • Wohnen / geförderter Wohnraum: Durch Umnutzung und Umbau können Kirchenräume mit hoher historischer Qualität in Wohnraum umgewandelt werden — sinnvoll, wenn Denkmalschutz und Umbau behutsam erfolgen.
  • Archive, Bibliotheken, Bildungsräume, Ateliers: Kirche und Pfarrhof können mit ihrer zentralen Lage und großen Räumen als Archive, Bibliotheken oder kreative Ateliers genutzt werden.

BEST-PRACTICE-MODELLE MADE IN NIEDERÖSTERREICH

Randegg wächst aus der Mitte – gemeinsam mit der Pfarre!

Randeggs Vizebürgermeisterin Margit Lechner, Pfarr-Gemeinderat Erich Adelsberger, Pfarrmoderator Simon Eiginger, Bürgermeister Manfred Wieser und Pfarrkirchenratsobmann Josef Tatzreither vor dem sanierungsbedürftigen Pfarrhof.

Nach dem Glasfaserausbau hat die Marktgemeinde Randegg in einer Bürgerbefragung die Belebung des Ortszentrums als Priorität definiert. Dafür wurden zentrale Liegenschaften angekauft und gemeinsam mit Wirtschaft, Vereinen, Generationenvertretern und der Pfarre ein langfristiger Masterplan erarbeitet. Ein besonderes Anliegen der Gemeinde war von Beginn an die Einbindung der Pfarre. „Der Pfarrhof ist seit Längerem sanierungsbedürftig. Da unser Herr Pfarrer künftig in der Nachbargemeinde wohnen wird, verringert sich der Platzbedarf der Pfarre – das mussten wir im Masterplan berücksichtigen“, erläutert Randeggs Bürgermeister Manfred Wieser. Deshalb wurden Pfarrflächen und Bestandsgebäude in die vertieften Planungen aufgenommen und ein konkreter Raumbedarf für das künftige Pfarrleben ermittelt. Es ist erklärtes Ziel, dass der ermittelte Raumbedarf der Pfarre im neuen Gemeindezentrum vollständig abgedeckt wird. Im kommenden Jahr starten die detaillierten Planungen für das gemeinsame Gemeindezentrum. Dabei wird gezielt nach Synergien mit der Pfarre gesucht – beispielsweise durch einen gemeinschaftlich nutzbaren, modernen Sitzungssaal, der sowohl kirchliche als auch kommunale Bedürfnisse berücksichtigt. Die Gemeinde strebt so eine nachhaltige, bedarfsgerechte und multifunktionale Lösung für das Zentrum von Randegg an.

Dominikanerkirche Krems

Die einstige Klosterkirche der Dominikaner wird seit 2011/2012 museal und kulturell genutzt: Als Teil der Landesgalerie für zeitgenössische Kunst dienen Kirchenschiff und Kloster als Ausstellungshalle und  Veranstaltungsort.

Kollmitzberg (Ardagger) – Vorzeigeprojekt: Pfarrheim-Umbau mit sechs Gemeindewohnungen und enormem Ehrenamtseinsatz

In Kollmitzberg entsteht durch den umfassenden Umbau des Pfarrheims ein neues Pfarrzentrum im Kellergeschoß sowie sechs dringend benötigte Wohnungen in den oberen Etagen. Das Projekt basiert auf einer engen Kooperation zwischen Pfarre und Gemeinde, die das Gebäude künftig gemeinsam besitzt und nutzt. Auffällig ist der starke ehrenamtliche Einsatz: Über 1.500 Stunden haben Freiwillige bereits beigetragen. Die Gemeinde wird die Wohnungen nach Fertigstellung vermieten, die Nachfrage war enorm. Gleichzeitig setzt das Projekt durch Fernwärmeanschluss und Photovoltaik auf Nachhaltigkeit.

Neustadtl – Gemeinsame Nutzung des Pfarrsaals und Ortsplatzgestaltung als Partnerschaftsmodell

In Neustadtl entstand vor dem Pfarrsaal ein neuer, großzügiger Ortsplatz, dessen Fertigstellung rechtzeitig zum 875-Jahr-Jubiläum erfolgte. Die Gemeinde investiert rund 300.000 Euro in die Außengestaltung, inklusive moderner Beleuchtung, Akustiktechnik und einer 5 × 9 Meter großen Freibühne, die auch für kirchliche Veranstaltungen – etwa Feldmessen – genutzt wird. Die Marktgemeinde und die Pfarre haben einen gemeinsamen, detaillierten Nutzungsvertrag für den Pfarrsaal abgeschlossen. „In dem Vertrag wird alles geregelt in Bezug auf Pflege, Versicherung, Instandhaltung und so weiter. Für die Planung von Veranstaltungen bietet sich ein Kalender an, wobei kirchliche Veranstaltungen jedenfalls stattfinden werden“, führt Neustadtls Bürgermeister Franz Kriener aus.

Quartier Wolkersdorf – modernes Veranstaltungszentrum aus Pfarrstruktur heraus entwickelt

Ein besonders zeitgemäßes Beispiel für gelungene kirchliche Infrastrukturentwicklung ist das neue Quartier Wolkersdorf. Der Umbau des Pfarrzentrums – gestartet im Herbst 2023 – wurde als Gemeinschaftsprojekt von Pfarre und Stadtgemeinde, mit DELTA als Projektsteuerung, realisiert. Mit einem Investitionsvolumen von über 10 Millionen Euro entstand ein modernes, vielseitig nutzbares Veranstaltungszentrum, das kirchliche und kulturelle Bedürfnisse in idealer Weise verbindet.

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