Die Akte ÖBB – Gemeinden unter den Rädern

3,5 Millionen Euro für Schranken auf der grünen Wiese statt für Kinderbetreuung. 600.000 Euro für einen Knotenbahnhof, den hauptsächlich Pendler aus anderen Orten benutzen. Und 900.000 Euro für den Erhalt einer bestehenden Schrankenanlage. Niederösterreichs Gemeinden werden von den ÖBB derzeit verstärkt zur Kasse gebeten. Ein Lokalaugenschein.

Niederösterreichs Gemeinden brauchen den öffentlichen Nahverkehr. Grundsätzlich ist für Orte die Lage an einer Eisenbahnlinie ein Segen. Was der breiten Öffentlichkeit bislang aber nicht bekannt war, ist die Tatsache, dass Kommunen einen enormen finanziellen Beitrag zu Betrieb und Erhaltung, manchmal auch zur Errichtung von Eisenbahnanlagen leisten. Und für manche Orte wandelt sich daher der Segen rasch in einen finanziellen Fluch.

Es beginnt bei der Park & Ride Anlage und der Schneeräumung. Gemeinden zahlen für das Offenhalten von Toiletten oder den Erhalt von Bahnübergängen oder den behindertengerechten Umbau von Bahnhöfen, um nur einige Beispiele zu nennen. Und zunehmend werden die Forderungen der ÖBB für Gemeinden unfinanzierbar. Das Team des NÖ-Gemeindebundes wird derzeit vermehrt von verärgerten Gemeindevertretern kontaktiert, die um Unterstützung in den Verhandlungen mit sehr offensiv auftretenden Bahnmitarbeitern bitten.

Um auf das Dilemma aufmerksam zu machen, haben wir einige Fälle gesammelt und in diesem Video zusammengefasst:

Schauplatz Neulengbach. Hier hat die Gemeinde bereits vor Jahren einen fairen Anteil am Bau der Park & Ride-Anlage geleistet. ÖBB, Land und Stadt teilten sich die Kosten zu einem gerechten Schlüssel. Seither zahlt aber nurmehr eine Beteiligte – die Gemeinde. Bürgermeister Jürgen Rummel: “Die Erhaltungskosten belaufen sich jährlich auf 45.000 Euro und werden zu 100% von der Gemeinde bezahlt.”

Gemeinde zahlt für Brrierefreiheit Geld an ÖBB. Wenige Meter neben der Anlage entstand nun ein neuer Bahnhof. Und auch hier wird die Gemeinde fleißig zur Kasse gebeten. Rummel: “Die Verantwortlichen der Bundesbahnen haben festgestellt, dass nur ein Bahnsteig barrierefrei ausgestattet werden soll. Wenn wir auch den zweiten Bahnsteig behindertengerecht mit einem Aufzug ausstatten wollen, sollten wir die Erhaltungskosten zahlen, sonst wird dort kein Aufzug gebaut. Das sind derzeit 4.800 Euro im Jahr”

In Zeiten, in denen jeder Gastronomiebetrieb vom Betreiber barrierefrei gemacht werden muss, ist diese Forderung in vielen Augen befremdlich. In einem Unternehmen das sich zu 100% in Staatsbesitz befindet und noch dazu im Zuständigkeitsbereich einer Ministerin steht, sollte Barrierefreiheit selbstverständlich sein. Die Ankündigung eine Fahrtrichtung einfach nicht barrierefrei zu gestalten wenn nicht ein anderer die Kosten übernimmt, wirkt insoferne etwas aus der Zeit gefallen.

“Schmutzgeld” für Toiletten. Bei den Toiletten am Bahnhof ist es ähnlich. Obwohl im denkmalgeschützten Teil der Haltestelle funktionierende Toilettanlagen vorhanden waren, kündigte die Bahn an, diese einfach zu sperren. Erst durch eine jährliche Zahlung von 1.500 Euro “Schmutzgeld” für die Reinigung konnte die Stadtgemeinde Neulengbach die ÖBB “umstimmen” und Rettung in der Notdurft anbieten.

900.000 Euro – sonst bleibt Schranke geschlossen. Verglichen zu den jüngsten “Anliegen” der ÖBB an die Neulengbacher sind die oben beschriebenen Summen aber “Peanuts”. Im Ortsgebiet befinden sich drei existierende Schrankenanlagen. Zwei davon wollen die Bundesbahnen nun schließen. Ausser – die Gemeinde zahlt die Betriebskosten. Und die geforderte Summe hat sich gewaschen. 900.000 Euro verlangen die Bundesbahnen für die Erhaltung pro Übergang. Rummel:”Das ist natürlich für eine Gemeinde nicht finanzierbar. In einer Katastralgemeinde haben die Bewohner 512 Unterschriften zum Erhalt gesammelt. Bauern kommen sonst nicht mehr zu ihren Feldern, auch der Radweg verläuft hinter dem Gleis und wäre für die Wohnsiedlung nicht mehr erreichbar.”

3,5 Millionen – sonst brauchen Bauern Luftbrücke. Eine ähnliche Erfahrung hat die Gemeindeverwaltung von Schönberg am Kamp. Auch hier wollen die ÖBB Geld für Bahnübergänge. Nur hier unter umgekehrten Vorzeichen. Sieben unbeschrankte Bahnübergänge sollen hier mit Schrankenanlagen versehen werden. Bürgermeister Michael Strommer: “Pro Übergang soll die Gemeinde 500.000 Euro zahlen, sonst werden sie geschlossen. Dabei handelt es sich aber um Verbindungen die alternativlos sind. Ein Übergang führt etwa zum Acker eines Bauern, der sonst nicht erreichbar ist. Der Übergang wird fünf bis sieben mal jährlich genutzt. Hier extra eine Schranke zu errichten ist Geldverschwendung. Das sind in Summe 3,5 Millionen Euro, die wir nicht haben. Und die wir auf der anderen Seite für Kinderbetreuung, Ausbau der Schulen oder des Freizeitzentrums aufbringen müssen. Also im Sinne eines sorgsamen Umganges mit Steuergeldes geht die Kosten Nutzen Rechnung hier einfach nicht auf.”

600.000 Euro für ganze Region. Kleine Gemeinde, große Rechnung. Ein paar Gleiskilometer weiter in Hadersdorf am Kamp. Hier entstand ein nigelnagelneuer Knotenbahnhof, der die Kamptalbahn an den Kremser Ast der Franz Josefs Bahn anbindet. Genutzt wird der Bahnhof von Pendlern aus der gesamten Region. Die 2000-Einwohner-Gemeinde Hadersdorf/Kammern hätte niemals den Bedarf eines derart großen Bauwerkes. Obwohl die Anlage zum Großteil von auswärts benutzt wird, zahlt aber nur einer: Die Gemeinde Hadersdorf. Und zwar fast 600.000 Euro im heurigen Jahr 2024. Bürgermeister Heinrich Becker: “Dazu kommen noch Kosten für den Betrieb der Park & Ride Anlage. Etwa die Schneeräumung. Da müssen wir bereits um zwei Uhr morgens damit beginnen, denn wenn erst einmal die Pendlerautos dastehen, ist eine Schneeräumung nicht mehr möglich.”

Bahn blockiert Bau von Photovoltaik auf Gemeindegrund. Neben der Kosten für den Erhalt ärgert ein weiterer Umstand den Bürgermeister: “Ein Teil der Park & Ride-Anlage ist auf Gemeindegrund. Wir wollten den Parkplatz mit einer PV-Anlage ausstatten. Das Projekt ist fix fertig geplant, es wären überdachte Abstellplätze entstanden, gleich mit Lademöglichkeiten für E-Autos. Aber obwohl es unser Grund ist, hat die ÖBB den Bau der PV-Anlage untersagt. Mit der Begründung, dass sie das selbst irgendwann einmal vielleicht überlegen zu tun. Wann weiß niemand. Somit können wir das Projekt nicht umsetzen, was schade ist. Wir werden großflächige PV Anlagen für die Energiewende brauchen, hier wäre der Boden dafür bereits versiegelt. Warum soll man solche Anlagen auf die grüne Wiese bauen?”

NÖ Gemeindebund Präsident Johannes Pressl sieht diese und dutzende weitere Beispiele als Handlungsauftrag: “Der nächste Schritt muss sein, gemeinsam mit den ÖBB finanzielle Lösungen zu finden. Das ist letztlich im Interesse aller, vorallem der Bürger im ländlichen Raum.”

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