Keine Semmeln ohne Europa

Vom veganen Restaurant in einer ehemaligen Innenstadtruine, über Zeitreisen in die Vergangenheit der Region bis zu frischem Gebäck und Lebensmitteln im Dorfladen: Wir stellen EU-Projekte vor, die das Leben in Niederösterreichs Gemeinden besser machen.

Beitrag von Oswald Hicker

Frisches Brot und Gebäck duftet, Obst und Gemüse aus regionaler Produktion leuchtet bunt aus den Verkaufskörben und in den Kühlungen warten frische Milchprodukte, Wurstwaren und Fleisch auf Kunden. Auch sonst findet man alles, was das Herz begehrt – aus regionaler Produktion und täglich frisch.

Fast meint man, in einem hippen Biosupermarkt im siebenten Wiener Bezirk zu sein. Doch der Markt steht nicht in Bobotown, sondern in der kleinen Gemeinde Schönkirchen-Reyersdorf. Wo sich sonst endlose Felder erstrecken und die Ölpumpen der OMV drehen, entstand ein Vorzeigeprojekt dafür, dass die EU nicht nur ein abstraktes Konstrukt ist, dass sich weit weg teils obskure Regeln einfallen lässt.

Hier wurden Mittel der EU eingesetzt, um das Leben der Menschen im Ort mit einem handfesten Projekt besser zu machen. Bürgermeister Alexander Gary: „Unser letzter Nahversorger hat 2021 geschlossen, weil er bedingt durch die Coronakrise aufgeben musste. Wir mussten uns als Gemeinde etwas überlegen. In einigen Kilometern Entfernung gibt es große Supermärkte, darum war der Standort für Ketten nicht interessant. Wir mussten also selbst eine Nahversorgung mit möglichst breitem Produktsortiment schaffen. Und es sollten regionale Produkte sein, um unsere Landwirte und Produzenten zu unterstützen. Wir stellen den Raum und die Infrastruktur zur Verfügung, und die regionalen Anbieter kümmern sich um die Waren.

Bei jedem Verkauf verdient die Gemeinde 15 Prozent Provision. Wir haben im leerstehenden Pumpenhaus der Feuerwehr den geeigneten Platz direkt an der Hauptstraße gefunden. Wir haben einen Planer engagiert und sind mit dem Projekt zur Leaderregion und zu ecoplus gegangen, wo wir sehr gut betreut wurden. So ist es auch gelungen, dass relativ hohe Fördermittel aus der EU in den Dorfladen geflossen sind.“

Erfolgskonzept LEADER
Der Dorfladen Schönkirchen-Reyersdorf ist eines von vielen Beispielen in ganz Niederösterreich, in dem massive Fördersummen der EU stecken. Neben Agrarsubventionen für Landwirte oder Infrastrukturprojekte kümmern sich die LEADER-Regionen um kleine regionale Projekte. Zwischen 2014 und 2020 wurden allein in Niederösterreich 732 Leader-Projekte mit 40,3 Millionen Euro umgesetzt. Insgesamt wurden damit Investitionen von 65 Millionen ausgelöst.

Die Subventionen fördern Projekte in folgenden Bereichen:

  • 25 % Tourismus
  • 13 % Familien / Soziales
  • 12 % Kultur
  • 12 % Wirtschaft / Nahversorgung
  • 11 % Naturschutz
  • 11 % Freizeit / Barrierefreiheit
  •   7 % Bildung
  •   5 % Energie / Mobilität

Von der Schwarzatal-Radroute im Industrieviertel, der Internet-Plattform kostbares-weinviertel.at, der Holzerlebniswelt Ano lignum im Waldviertel bis zur Attraktivierung der „Urlaub am Bauernhof“ Angebote im Donauraum – all diese Projekte quer übers Land würde es nicht geben, gäbe es die EU-Förderschienen nicht.

“Dank LEADER und ecoplus ist es uns gelungen, dass hohe Fördermittel aus der EU in den Dorfladen geflossen sind!” – Bgm. Alexander Gary, Schönkirchen-Reyersdorf

Innenstädte werden belebt
Auch in Waidhofen an der Ybbs und drei weiteren Gemeinden an der Eisenstraße stecken EU-Gelder. Das geförderte Projekt nennt sich „Gründung findet Stadt“ und soll die Innenstädte beleben. Bürgermeister Werner Krammer: „Der Innenstadt gilt unsere volle Aufmerksamkeit. Wir konnten durch kluge Planung verhindern, dass ein Einkaufszentrum auf der grünen Wiese entsteht. Trotzdem gibt es die Herausforderung des Onlinehandels, aber der stellen wir uns und tun etwas. Wir haben einen Innenstadtkoordinator bestellt, einen Mietzuschuss und eine Fassadenaktion.

“Die Rolle von Städten und Gemeinden hat sich sehr geändert. Wir gehen sogar so weit, dass wir Immobilien kaufen, um diese entwickeln zu können.”
Bgm. Werner Krammer, Waidhofen an der Ybbs

Aber jetzt ist es dieses Leader-Projekt „Gründung findet Stadt‘, das tolle Erfolge zeigt.“

Wie genau das Projekt die Innenstädte retten soll, erklärt Bettina Rehwald von der Leaderregion Eisenstraße: „Die Projektidee ,Gründung findet Stadt‘ ist in Waidhofen entstanden.

“Wir unterstützen Gründerinnen und Gründer, die sich in einem Leerstand im Ortszentrum niederlassen.”
Bettina Rehwald ,Geschäftsführerin der Leaderregion Eisenstraße

Die Jungunternehmer können ihre Geschäftsidee einreichen und sich um ein Gründerticket im Wert von 5.000 Euro bewerben. Dieses Geld kann man für Sachoder Dienstleistungen im Bereich Foto, Marketing, Video und Ladenkonzeption verwenden. Wir haben Frisöre, Tätowierer, Blumenhändler, Agenturen unterstützt. Die Geschäftsideen sind vielfältig, vom Fahrradverleih bis zum veganen Restaurant. In der ersten Projektphase haben wir so 27 Gründer unterstützt, und jetzt in der zweiten Phase sind es 28. Darauf sind wir sehr stolz.“

Kurzfilme zur Zeitgeschichte
Eine ganz andere Projektidee wurde mit EU-Hilfe in der Leader-Region Mostviertel Mitte umgesetzt. Hier halten professionelle Kamerateams die Zeitgeschichte der Region mit Dokumentationen fest.

„Die Filmchronisten“ drehen Kurzfilme über alte Kulturtechniken, Menschen und Initiativen, um diese für die Nachwelt zu erhalten.

Projektleiter Ernst Kieninger: „Die Filmchronisten zeichnen Ereignisse auf, die sonst nirgendwo aufgezeichnet sind, damit sie nicht verloren gehen. Wir haben seit 2020 hundert Beiträge in 30 Gemeinden der Region gestaltet.

Filmchronist Ernst Kieninger: “Die Filmchronisten zeichnen Ereignisse auf, die sonst nirgendwo aufgezeichnet sind, damit sie nicht verloren gehen.”

Diese kann man auf der Homepage www.filmchronisten.at anschauen. Wir binden die Bevölkerung von Anfang an in die Themenfindung ein. Das alles ließe sich ohne ein gesichertes Budget nicht realisieren. Und da sind wir sehr froh, dass die Leader-Region mit dem EU-Budget für regionale Entwicklung einen maßgeblichen Anteil der Finanzierung übernommen hat.“

70 Prozent der Kosten kommen über das Leader-Projekt. Den Rest finanzieren die teilnehmenden Gemeinden. Dabei kommen zum Teil völlig vergessene Dinge der Alltagskultur wieder zum Vorschein. Etwa der Flachsanbau, der vor 70 Jahren in der Region betrieben wurde. Aus dem Flachs wurden Westen, Bettzeug oder Tischdecken gemacht. Es gibt sie noch, die Menschen, die sich dran erinnern können. Kieninger: „Wir haben in Annaberg eine Frau gefunden, die uns vom Anbau, über die Ernte, die Verarbeitung, das Verspinnen bis hin zum Webstuhl alles noch vorgeführt hat. Das war eine faszinierende Zeitreise. Es ist uns mehrmals gelungen, gerade noch rechtzeitig die Lebenserinnerungen von besonderen Menschen zu verewigen.“

Leader-Obmann Anton Gonaus war vor fünf Jahren, als er die Projektidee sah, zuerst skeptisch: „Ich hab‘ gedacht, schon wieder ein Film, bin beim Nachdenken aber zu der Überzeugung gekommen, dass es eine Verpflichtung für unsere Generation ist, diese alten Ereignisse für die Nachwelt zu erhalten. Wir haben das Projekt gegründet und es den Gemeinden angeboten.

Anton Gonaus, Obmann der Leader-Region Mostviertel Mitte: “Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass es eine Verpflichtung für unsere Generation ist, diese alten Ereignisse für die Nachwelt zu erhalten.”

Auf Anhieb waren gleich 16 Gemeinden begeistert und dabei. Pro Gemeinde und Film fallen Kosten von 1500 Euro an, der Rest wird von der EU gefördert. Die Filmteams sind alle aus der Region, das stützt Arbeitsplätze. Es sind wunderbare Filme geworden, die wirklich begeistern. Inzwischen sind schon Anfragen von anderen Leader-Regionen gekommen, die das Projekt ebenfalls umsetzen wollen. Unser Projekt umfasst inzwischen 40 Gemeinden.

Wie groß das Interesse an der eigenen Geschichte ist, zeigt das Beispiel Puchenstuben. Dort leben nicht einmal 300 Leute, bei der Filmpräsentation waren über 100 Leute anwesend.“

Finanzielle Erfolge
Während die Erfolge der Filmchronisten in der Begeisterung liegen, hat die Gründerinitiative in Waidhofen auch sehr positive Auswirkungen auf die Gemeindekassen: 57 Betriebe in einstigen Leerständen beleben nicht nur die Zentren, sondern liefern auch Geld in Form von Kommunalabgaben ab. Auch Bürgermeister Gary aus Schönkirchen-Reyersdorf kann sich freuen, dass der Dorfladen ein stattliches Zubrot für die Gemeindekassa liefert. Mehr als so mancher Großkonzern.

Gary: „Derzeit nutzen rund 120 Menschen pro Tag das Angebot, das ganze Konzept ist aufgegangen und die Gemeinde verdient damit über Verkaufsprovisionen einen namhaften Betrag im Jahr. Das ist schon ebenbürtig mit den Einnahmen aus den Abgaben des größten Arbeitgebers, der OMV.“

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