Was wurde aus dem Europa der Regionen?



Niederösterreich hatte eine führende Rolle bei der Erfolgsgeschichte des Europas der Regionen.
Der Regionalausschuss, die starke Stimme von Ländern und Gemeinden in der EU, steht aber vor Herausforderungen.

Beitrag von Oswald Hicker

Es war ein historischer Triumphzug des bunten Europas der Regionen. Sprichwörtlich mit wehenden Fahnen zog am strahlenden 28. September 2016 eine Flaggenparade mit mehr als 500 Vertretern aus 337 Regionen und Städten der EU ins Brüsseler Regierungsviertel ein. An der Spitze des beeindruckenden Aufmarsches: Landeshauptmann Erwin Pröll. Unter den Arm geklemmt: Eine Petition, die von Ministerpräsidenten, Gouverneuren, Ministern und Präsidenten dieser 337 Regionen unterzeichnet wurde.

Grund für das Defilee: Das Tauziehen um das EU-Budget ab 2021. Schon fünf Jahre vor Inkrafttreten setzten Europas Regionen unter Führung Niederösterreichs alles daran, dass die Regionalförderung in der kommenden Budgetperiode nicht zusammengekürzt würden. Maßgebliche Kreise in Brüssel vertraten damals den Standpunkt, dass die Mittel der Regionalförderung anderswo besser eingesetzt werden könnten. Von den Nationalstaaten werden die Regionen in der Regel auch nicht immer mit voller Kraft bei der Umsetzung föderalistischer Interessen unterstützt.
Und daher setzten die Regionen ein starkes Zeichen, übergaben eine Petition an den Vorsitzenden des Ausschusses der Regionen und die zuständige Regionalkommissarin.

Pröll einigte die Regionen
Lappen nördlich des Polarkreises, Schotten und Walliser im Westen, Transsylvanier im Osten bis hin zu den Bewohnern der französischen Übersee-Territorien Guyana und Guadeloupe – sie alle schlossen die Reihen hinter Niederösterreichs Landeschef und demonstrierten Stärke.
Pröll gelang es Vertreter von mehr als drei Viertel aller EU-Bürger hinter sich zu einen. Schließlich übergab er das Ergebnis seiner Arbeit an die zuständige und sichtlich beeindruckte EU-Kommissarin Corina Cretu. In seiner Ansprache erklärte Pröll die Absichten seiner Initiative: „Ja, ab 2020 geht es um 350 Milliarden Euro, das ist sehr, sehr viel Geld. Es geht aber um mehr. Es geht um ein Signal, dass die Regionen Europas das starke Fundament sind, auf dem das Haus EU gebaut ist.
Durch den Brexit, die Migration und die Terrorgefahr glauben viele, dass es nun wichtigeres gibt als EU-Regionalpolitik. Es wäre aber ein Trugschluss deswegen das Fundament des Zusammenhaltes zu gefährden.“

Erwin Pröll im September 2016 in Brüssel. Dem Niederösterreichischen Landeshauptmann gelang es, Vertreter von mehr als drei Viertel aller EU-Bürger hinter
sich zu einen.

Nach Erfolg wurde es ruhig
Der Plan und die Initiative hatten Erfolg. Die Kommission ging mit ihren Budgetplänen wieder zurück an den Start und berücksichtigte die Regionalförderungsmittel wieder großzügig.

In der aktuellen Förderperiode flossen wieder mehr als 40 Millionen Euro in Projekte der Regionalförderung nach Niederösterreich. Seither ist der mediale Fokus vom Europa der Regionen etwas abgerückt. Dabei wäre es höchste Zeit, auch für die kommende Förderperiode ab 2027 wieder medialen Rückenwind für die Interessen der Regionen in Europa zu haben. Wieder geht es um Milliarden und wieder versuchen verschiedene Interessensgruppen in Brüssel am Kuchen der EU-Regionalförderungen zu naschen.

Bürgermeisterin und die Großstadtchefs
Hinter vorgehaltener Hand bestätigen Insider, dass der Druck auf die föderalistische Idee des Europas der Regionen zugenommen hat. Trotzdem stemmen sich Österreichs Delegationsmitglieder im Ausschuss der Regionen mit aller Kraft gegen den Trend. Westliche Bundesländer sind bei den vierteljährlich stattfindenden Sitzungen auf Landeshauptleute-Ebene vertreten, für Niederösterreich sitzt eine g’standene Bürgermeisterin im Gremium.

Bürgermeisterin Bernadette Geieregger aus Kaltenleutgeben vertritt unser Bundesland in den Sitzungen des Ausschusses. Geieregger: „In den Sitzungen sitzen Kaliber wie der Bürgermeister von Florenz oder der Landeshauptmann von Südtirol. Da bin ich als Bürgermeisterin einer 3.300 Einwohner Gemeinde schon eher die Ausnahme. Trotzdem gilt meine Stimme genauso viel, wie jene des Bürgermeisters von Florenz.“In den Sitzungen sind auch immer Mitglieder der mächtigen EU-Kommission anwesend.Obwohl der Ausschuss der Regionen nur beratende Funktion hat, findet Geieregger das Gremium trotzdem sinnvoll: „Ich habe schon das Gefühl, dass die Kommissare die Anliegen der Gemeinden und Regionen aufmerksam verfolgen. Sonst gibt es ja keine Möglichkeit für diese Einheiten, ihre Standpunkte zu äußern. Trotzdem habe ich das Gefühl, dasswir wieder mehr Gewicht in die Waagschale werfen könnten. Der Vorsitzende der österreichischen Delegation ist der Landeshauptmann von Vorarlberg. Dementsprechend sind die Themen schwerpunktmäßig eher westlastig.
Wir haben schon vorgeschlagen, dass der Europasprecher des NÖ Landtages eine gute Verstärkung für unsere Delegation wäre.“

“Meine Stimme gilt genauso viel wie jene des Bürgermeisters von Florenz.”
Bernadette Geieregger – Bürgermeisterin von Kaltenleutgeben und Ersatzmitglied im Ausschuss der Regionen

Regionalförderung immer wieder gekürzt
Und eine Verstärkung der Stimme der Regionen in Europa wäre auch dringend notwendig. Der Regionalgedanke in Europa wird immer mehr von zentralstaatlichem Denken abgelöst. Wann immer die Kommission unter Von der Leyen zusätzliche Gelder, etwa für Hochwasserkatastrophen oder Corona-Förderungen gebraucht hat, wurden diese vom Regionalförderungs-Budget abgezweigt. Und derzeit sieht es so aus, als würde in der nächsten Gesetzgebungsperiode der EU-Regionalkommissar gänzlich abgeschafft. Ein Plan, den es mit den EU-Regionalfördermitteln schon lange gibt.

Victor Vaugoin, Niederösterreichs Büroleiter in Brüssel: „Leider haben nur fünf Mitgliedsstaaten ein föderales System: Belgien, Italien, Spanien Deutschland und Österreich. In anderen gibt es ein vermehrt zentralstaatliches Denken, teilweise mit stärkeren Kommunen. Nicht allen Playern ist der regionale Gedanke gleich wichtig. Deshalb kann der Ausschuss der Regionen sein Potenzial auch nicht voll ausschöpfen. Theoretisch könnte im Trilog-Verfahren immer ein Vertreter des Ausschusses der Regionen dabei sein. Geschafft wurde das nur bei einer Handvoll Abstimmungen von ein paar hundert.“

Neuer Anlauf geplant
Eine Renaissance des Europas der Regionen könnte sich aber abzeichnen. Obwohl namhafte Proponenten wie Erwin Pröll, Christoph Leitl oder Othmar Karas ihren politischen Zenit überschritten haben, ist ein neues Lebenszeichen des Ausschusses in Planung – unter maßgeblicher Beteiligung Niederösterreichs: Derzeit laufen Gespräche, dass Niederösterreich gemeinsam mit Bayern im November einen neuen Regionalgipfel veranstalten will. Allerdings abgespeckt, mit Vertretern von immerhin 60 Regionen statt 337 wie im September 2016.

Trotzdem glaubt Victor Augain, dass eine neuerliche Initiative auch Erfolg haben könnte: „Es wäre auch unklug von Europa, die Regionen außen vor zu lassen. Denn 70 Prozent der EU-Gesetzesmaterie müssen auf regionaler Ebene umgesetzt werden.“

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