In der katholischen Kirche sind die Erzdiözese Wien sowie die Diözese St. Pölten für Niederösterreich zuständig. Ein Gespräch von NÖ Gemeindebund-Präsident Johannes Pressl mit dem St. Pöltner Bischof Alois Schwarz über neue Herausforderungen, alte Traditionen und die Zukunft der Pfarre als Ort lebendiger Gemeinschaft.
Autor: Bernhard Steinböck
Die Kirche ist mehr als ein Ort des Glaubens – sie ist Teil des sozialen und kulturellen Lebens unserer Gemeinden. Doch wie gelingt es, in Zeiten von Digitalisierung, gesellschaftlichem Wandel und Strukturveränderungen nah an den Menschen zu bleiben? Die NÖ Gemeinde hat mit dem St. Pöltner Diözesanbischof Alois Schwarz und NÖ Gemeindebund-Präsident Johannes Pressl gesprochen.

NÖ GEMEINDE: Herr Bischof Schwarz: Wie kann die Kirche ihrer Meinung nach dazu beitragen, dass das Miteinander im Dorf gestärkt wird?
ALOIS SCHWARZ: Das Dorf lebt von Beziehungen – von Menschen, die einander kennen, einander helfen und füreinander da sind. Die Kirche kann und soll genau dort ansetzen: indem sie Räume schafft, wo Begegnung möglich ist. Das beginnt im Kleinen – beim Pfarrkaffee, beim Besuchsdienst, bei der Kinder- und Jugendarbeit oder bei Initiativen für ältere Menschen. Kirche ist nicht nur ein Ort für Gottesdienste, sondern eine Gemeinschaft, die hinhört und mitträgt. Wenn wir als Pfarren präsent sind bei Sorgen, Freuden und Herausforderungen des Alltags, dann wächst Vertrauen. Und Vertrauen ist der Boden für ein gutes Miteinander im Dorf. Ich ermutige Pfarren sehr, Kooperationen mit Vereinen, Schulen, Gemeinden oder Hilfsorganisationen zu suchen. Denn dort, wo wir gemeinsam für das Gemeinwohl arbeiten, wird Zusammenhalt spürbar.
Herr Präsident Pressl, der Bischof hat betont, wie wichtig Begegnungen im Dorf sind. Gemeinden stehen aber gleichzeitig vor ganz praktischen Herausforderungen – vom Leerstand bis zur Mobilität. Was braucht es aus kommunaler Sicht, damit Dorfleben heute funktionieren kann?
JOHANNES PRESSL: Dorfleben entsteht nicht von selbst – es braucht – wie von Bischof Schwarz richtig erwähnt – Räume, Strukturen und Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Gemeinden versuchen deshalb, Treffpunkte zu erhalten, Vereine zu unterstützen, Nahversorgung zu sichern und Mobilität zu verbessern. Wenn ein Wirtshaus schließt, wenn der öffentliche Raum unattraktiv wird oder Ehrenamtliche fehlen, spüren das alle. Die Kirche ist hier ein wertvoller Partner, weil sie mit ihren Gebäuden, Initiativen und Traditionen viele Anknüpfungspunkte bietet. Entscheidend ist: Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass Orte lebendig bleiben – sozial, kulturell und infrastrukturell.
Das Leben vieler Menschen findet heute auch digital statt – von Kommunikation über Information bis hin zu spirituellen Angeboten. Wie erlebt die Kirche diesen Wandel hin zum Internet und zur Online-Welt?
SCHWARZ: Der digitale Wandel ist eine Realität, die wir nicht bewerten, sondern verstehen müssen. Viele Menschen – gerade jüngere – informieren sich online, suchen dort Orientierung und auch spirituelle Impulse. Das ist nicht schlecht. Es ist ein neuer „Lebensraum“, in dem Kirche präsent sein muss. Wir erleben, dass Social-Media-Angebote Menschen erreichen, die sonst kaum Kontakt zur Kirche hätten: Kranke, Berufstätige, Suchende, auch jene, die sich vielleicht noch nicht „trauen“, eine Kirche zu betreten. Gleichzeitig bleibt mir wichtig: Der Glaube lebt von Beziehung – zu Gott und zu Menschen. Das Digitale soll unterstützen, aber nicht ersetzen, was im persönlichen Miteinander geschieht: das gemeinsame Feiern, das Gespräch, das lebensteilende Dasein. Darum sehe ich beides zusammen: eine Kirche, die online einladend ist – und vor Ort herzlich und offen bleibt.
In einigen Regionen werden Pfarren zu Pfarrverbänden zusammengeschlossen. Welche Chancen sehen Sie in diesen neuen Strukturen? Wie kann gleichzeitig die Nähe zu den Menschen in kleinen
Gemeinden bewahrt und gepflegt werden?
SCHWARZ: Pfarrverbände sind nicht nur eine organisatorische Maßnahme, sondern können eine geistliche Chance sein. Die Nähe zu den Menschen bewahren wir, wenn wir nicht nur Strukturen verwalten, sondern Beziehungen pflegen. Das heißt konkret: Jede Teilgemeinde braucht weiterhin ein Gesicht, ein Team, feste Ansprechpersonen und lebendige Gottesdienste. Die Menschen müssen spüren: „Das ist meine Kirche, meine Pfarre, mein Ort.“ Pfarrverbände gelingen dort gut, wo man nicht nur zusammenlegt, sondern zusammenwächst – im Gebet, in der Pastoral, in gemeinsamen Projekten.
Herr Präsident – wie wirken sich diese kirchlichen Strukturveränderungen auf die Gemeinden aus?
PRESSL: Veränderungen lösen verständlicherweise Sorgen aus. Aber ich erlebe auch viele positive Beispiele, in denen Pfarrverbände neue Kraft freisetzen: durch gemeinsame Projekte, durch die Professionalisierung der Abläufe oder durch ein stärkeres Miteinander der Orte. Für Gemeinden ist entscheidend, dass die Kirche vor Ort sichtbar bleibt – mit Ansprechpersonen, mit offenen Türen, mit Angeboten. Wenn das gelingt, können neue Strukturen sogar stabilisieren statt verunsichern. Es ist sinnvoll, wenn die bisher noch kleinteiligen Pfarrstrukturen nun oft den Gemeindestrukturen angepasst werden. In meiner Gemeinde Ardagger gibt es beispielsweise vier Pfarren. Idealerweise sollte ein zukünftiger Pfarrverband alle vier Pfarren umfassen.
Kirchliche Feste wie Fronleichnam, Erntedank oder die Prozessionen prägen vielerorts das Dorfleben. Wie wichtig sind solche Traditionen heute noch?
SCHWARZ: Solche Traditionen prägen das Dorfleben, weil sie Menschen zusammenführen: Generationen, Vereine, Familien, Nachbarschaften. Sie verbinden Glauben, Kultur und Heimat.
PRESSL: Ohne diese gemeinsamen Momente würde den Gemeinden etwas Wesentliches fehlen. Man sieht ja, wie viele Menschen sich einbringen – von der Musikkapelle über die Vereine bis zu den Familien. Diese Feste schaffen Zugehörigkeit und sind ein lebendiger Teil unserer regionalen Kultur. Kirchliche Feste sind auch Anker im Gemeinschaftsleben. Fest- und Feiertage helfen,
innezuhalten, und zwar nicht nur Gläubigen. Und sie sind eine Gelegenheit, dass Menschen aus unterschiedlichsten Berufsgruppen, mit verschiedensten Interessenslagen oder über Generationen hinweg zusammenkommen. Wir sprechen heute im Internet und in sozialen Medien von „Bubbles“, von einer Blasenbildung, wo Menschen nur mit ihresgleichen zusammenkommen und sich dann ihre eigene Realität „stricken“. Gemeinschaftsfeste ermöglichen den persönlichen Austausch über alle Provenienzen hinweg.
Viele Menschen erleben Zeiten der Unsicherheit – gesellschaftlich, wirtschaftlich, persönlich. Was, glauben Sie, gibt den Menschen heute Halt? Welche Rolle kann dabei der Glaube spielen?
SCHWARZ: Viele fragen sich heute: Was trägt, wenn vieles unsicher wird? Halt geben Beziehungen, die verlässlich sind – in der Familie, in der Freundschaft, in einer Dorfgemeinschaft, in der man füreinander da ist. Der Glaube schenkt eine zusätzliche Tiefe: Er sagt uns, dass wir nicht allein sind. Dass unser Leben – mit Freude und Leid – in Gottes Hand liegt. Das ist kein billiger Trost, sondern eine Kraftquelle. Wer betet, wer das Evangelium hört, wer Gemeinschaft im Glauben erlebt, merkt oft: Ich muss nicht alles selber tragen. Glaube gibt Orientierung, wenn der Kompass fehlt. Und er macht Mut zur Hoffnung – nicht weil alles leicht wird, sondern weil Gott mitgeht. Gerade in unruhigen Zeiten ist das ein kostbares Gut.
PRESSL: Gemeinden sind sehr nah an den Menschen – ob bei finanziellen Sorgen, familiären Problemen oder Einsamkeit. Die Kirche hat wiederum große Erfahrung im Zuhören, Begleiten und Trösten. Wenn wir diese Kompetenzen verbinden, entsteht ein starkes Netz der Unterstützung: Besuchsdienste, Familienhilfen, Jugendangebote, Treffpunkte für ältere Menschen…
In manchen Orten stehen Pfarrhöfe leer oder werden kaum genutzt. Könnten hier Kooperationen mit den Gemeinden entstehen – etwa als soziale Treffpunkte, Jugendräume oder Gemeinschaftsorte?
SCHWARZ: Ich kann mir gut vorstellen – und wir fördern das auch –, dass solche Gebäude gemeinsam mit Gemeinden oder Initiativen genutzt werden: als Treffpunkt für Jung und Alt, für soziale Hilfe, für Kultur, Bildung oder Jugendräume. Wichtig ist, dass der Geist des Hauses spürbar bleibt: offen, menschenfreundlich, dem Gemeinwohl dienend.
